Arbeitsschutzmaßnahmen für Branchen der kritischen Infrastruktur – Fokus: Offshore Arbeiten

Hamburg, CARNEADES Legal, 02.06.2020, Rechtsanwältin Katharina Hacker und stud-iur. Irina Bojko

Wer „Corona“ sagt, muss auch „systemrelevant“ sagen – so zumindest könnte man die allseits bekannte Redewendung modifizieren, um deutlich zu machen, dass bestimmte Branchen in Zeiten von Covid-19 besonders in den Fokus rücken. Die Rede ist von sogenannter kritischer Infrastruktur, unter der man Organisationen oder Einrichtungen versteht, die eine wichtige Bedeutung haben für das staatliche Gemeinwesen und bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden (Definition Nationale Strategie zum Schutz Kritischer Infrastrukturen (KRITIS-Strategie) von 2009). Wenn man diesen eher schwammigen Begriff hört, stimmt man dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) in seiner Empfehlung, den Begriff stets kontextspezifisch auszulegen, wohl zu. Nichtsdestotrotz existiert eine grobe Einteilung in verschiedene Sektoren wie u.a. Energie, Gesundheit, Staat und Verwaltung, welche wiederum in Branchen eingeteilt werden. Beispielhaft seien hier die Branchen Elektrizität, Gas, Mineralöl und Fernwärme für den Sektor Energie zu nennen. Diese Einteilung basiert auf einer Verordnung zur Bestimmung kritischer Infrastrukturen nach dem BSI-Gesetz (Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik; Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern) und kann auf landesrechtlicher Ebene anders ausgestaltet sein. Das BKK weist in seiner Handlungsempfehlung für Unternehmen vom 06.04.2020 jedoch darauf hin, dass sich Bund und Länder in einem Austausch befinden, um die Kriterien für eine systemrelevante Branche möglichst einheitlich zu fassen.

Arbeitsschutzmaßnahmen für Betreiber kritischer Infrastrukturen

1,5 m Abstand, wenn möglich Arbeiten aus dem Home Office, Wegbleiben vom Arbeitsplatz bei Atemwegssymptomen. Die Liste der allgemeingültigen Arbeitsschutzmaßnahmen sollte mittlerweile allen bekannt sein. Ebenfalls nicht unbemerkt sind die Verzögerungen in fast allen Branchen. Zusätzliche Maßnahmen bedeuten zusätzlichen zeitlichen Mehraufwand. Wie lässt sich dieser zusätzliche Mehraufwand bei kritischen Infrastrukturen kompensieren? Schließlich ist es gerade Kennzeichen einer systemrelevanten Branche, dass sie zugunsten der Allgemeinheit „normal“ funktionieren muss.  Um die Funktionsfähigkeit sicherzustellen, weichen die Arbeitsschutzmaßnahmen für kritische Infrastrukturen von denen der anderen Branchen ab.

Verwiesen sei hier auf die Handlungsempfehlungen des Robert-Koch-Instituts. Systemrelevante Branchen wird nahegelegt, eine Liste essenziellen Personals zu erstellen und festzulegen, durch wen dieses bei Ausfall zu ersetzen ist. Besonders betont wird, dass die Ausnahmen von den allgemeinen Arbeitsschutzmaßnahmen „beschränkt bleiben auf essenzielles und/oder hoch spezialisiertes KritIS-Personal, welches nicht durch Umsetzung oder kurzfristiges Anlernen von Personal aus anderen Bereichen ersetzt werden kann“. Besonderes Augenmerk gilt dem Umgang mit Kontaktpersonen. In „normalen“ Betrieben werden Arbeitnehmer in häusliche Absonderung geschickt. Dies lässt sich bei kritischer Infrastruktur nicht ohne Gefahr eines Systemzusammenbruchs bewältigen, weshalb hier bei Vorliegen eines relevanten Personalmangels Arbeiten in Ausnahmefällen möglich sein soll. Hatte jemand einen 15-minütigen face-to-face Kontakt mit einem Covid-19-Infizierten und liegt ein solcher relevanter Personalmangel vor, ist das Arbeiten nach wie vor zulässig. Es ist ein Mund-Nasen-Schutz (MNS) bis 14 Tage nach der Exposition zu tragen und strenge Hygieneregeln sind zu beachten. Sollten Symptome auftreten, hat man sich umgehend testen zu lassen. Hat man sich nur in einem Raum befunden mit einer Covid-19-infizierten Person, hatte aber keinen face-to-face Kontakt, ist lediglich eine Kontaktreduktion vorgeschrieben. Selbst bei Personal mit Erkältungssymptomen ist das Arbeiten in Ausnahmefällen zulässig. Der MNS ist in diesem Fall während der gesamten Arbeitszeit zu tragen. Die wohl größte Ausnahme zu den allgemeingültigen Vorgaben stellt die Zulässigkeit der Arbeit einer positiv getesteten Person dar, welche jedoch ausdrücklich nur in Notfällen und unter ärztlicher Begleitung erfolgen soll.

Bedeutung für die Betreiber von Offshore-Windenergieanlagen

Handlungsempfehlungen sind schön und gut, doch wie soll das Ganze in der Praxis funktionieren? In einem Interview mit Isabel Rothe, Präsidentin der Bundesanstalt für Arbeitsschutz vom 17.04.2020 im Handelsblatt mit dem Titel „Wie Unternehmen die strengen Covid-19 Arbeitsschutzstandards umsetzen können“ ist zur konkreten Umsetzung leider wenig zu finden. Die Verantwortung wird branchenspezifischen Fachleuten übertragen und stets – wie überall anders auch – von Hygiene- und Abstandsregelungen gesprochen.

Diese praxisbezogene Lücke stellt insbesondere Betreiber von Windparks vor große Probleme. Üblicherweise arbeiten Arbeitnehmer von Offshore Anlagen in einem Rotationssystem, d.h. sie verbringen eine Zeit (in der Regel 2-3 Wochen) auf dem Schiff, wechseln dann die Crew und verbringen anschließend die gleiche Zeit wiederum in Freizeit. Dies soll dafür sorgen, dass der Mehraufwand durch vielfache Crewwechsel erspart wird und die Arbeitnehmer die Möglichkeit haben, die mangelnde Freizeitgestaltung an Bord durch eine lange Freizeitphase an Land zu kompensieren. Lange Arbeitsschichten sind zudem charakteristisch für das Arbeiten auf Offshore Anlagen. Die Umsetzung der Arbeitsschutzmaßnahmen könnte zum einen einen erheblichen Mehraufwand bedeuten und zum anderen Beschäftigte einem hohen Infektionsrisiko aussetzen. Durch den engen Raum an Bord ist die Einhaltung von Abstands- und Hygieneregelungen kaum zu bewältigen. Bei einem Crewwechsel müsste praktisch das gesamte Schiff desinfiziert werden. Mitglieder der Schiffscrew, wie der Kapitän oder Küchenkräfte, verbleiben in der Regel länger an Bord als die restliche Crew und müssten in kürzeren, zum Rest des Teams parallel laufenden Intervallen ausgewechselt werden. Sollte ein relevanter Personalmangel eintreten und die Ausnahmeregelung greifen, ist das Infektionsrisiko des gesamten Teams erheblich, da sich die Abstandsregelungen für eine Dauer von wochenlanger Zusammenarbeit kaum bewältigen lassen.

Eine mögliche Hilfestellung gibt ein Informationsschreiben des Ministeriums für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren aus Schleswig-Holstein, welche durch gezielte Fragestellungen an spezifischen Problempunkten ansetzt, wie z.B. die Trennung von Sanitärräumen oder die Bewerkstelligung einer Übergabe durch technische Hilfsmittel. Bei der Umsetzung bleibt die Verantwortung jedoch nach wie vor bei den Arbeitgebern.

Es bleibt somit zu hoffen, dass Betreiber kritischer Infrastrukturen die Lücke im Bereich der praktischen Umsetzung durch gegenseitiges Abschauen und stetigen Austausch schließen können, um weiterhin funktionsfähig zu bleiben, denn konkrete Umsetzungstipps durch staatliche Institutionen wird es auch in Zukunft wohl nicht geben.