COVID-19 und Annahmeverzug des Auftraggebers eines Bauvertrages

Hamburg, CARNEADES Legal, 08.04.2020, Rechtsanwalt Tobias Voigt und stud-iur. Irina Bojko

Die aktuelle Lage um Covid-19 stellt Politik, Wirtschaft, sowie Unternehmer und Verbraucher vor eine Vielzahl juristischer Fragestellungen, die es so bisher noch nicht gab. Insbesondere im Bereich des Leistungsstörungsrechts stehen Vertragsparteien vor der Herausforderung die neuen Gegebenheiten rechtlich zu erfassen und zu beurteilen.

In diesem juristischen Diskurs, insbesondere zum Thema höhere Gewalt, wird vielfach ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom 20.04.2017 (VII ZR 194/13, BauR 2017, 1361, NZBau 2017, 596, Link) zitiert. So auch in einem Erlass des Bundesministeriums des Innern, welcher sich mit bauvertraglichen Fragen auseinandersetzt (Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Erlass BW I 7 70406/21#1 vom 23.03.2020, COVID-19 Pandemie, Bauvertragliche Fragen; Link).

Darin enthalten sind Vorgaben zur Sicherstellung der Fortführung von Baumaßnahmen, sowie für Bauablaufstörungen. Mit Bezugnahme auf das Urteil des BGH stellt das BMI klar, dass die Voraussetzungen des § 642 BGB im Falle von höherer Gewalt nicht vorliegen, sodass ein Annahmeverzug des Auftraggebers nicht begründet wird. Nach Ansicht des BMI gelte dies vor allem für Fallkonstellationen, in denen ein Auftragnehmer bei Errichtung eines Gewerkes auf die Fertigstellung eines Vorgewerkes angewiesen ist, dieses Vorgewerk jedoch aufgrund von höherer Gewalt nicht rechtzeitig erbracht werden konnte. Das BMI suspendiert somit geschuldete Mitwirkungshandlungen aufgrund von höherer Gewalt.

Die Vorgabe des BMI knüpft an weitreichende Folgen für etwaige Vertragsdurchführungen, so dass sich ein genauerer Blick in das vielfach zitierte Urteil des BGH durchaus lohnt. Eine Analyse des Urteils lässt aber insbesondere die Frage offen, ob die vom BGH entschiedene Rechtsfrage – nämlich ob ein Ereignis höherer Gewalt eine Mitwirkungspflicht nach § 642 BGB begründen kann – deckungsgleich ist mit der Frage, die das BMI zu beantworten versucht. Letztere beschäftigt sich nämlich damit, ob ein Fall höherer Gewalt vertraglich vereinbarte Mitwirkungshandlungen suspendiert.

Dem Urteil des BGH liegt der Fall zugrunde, dass ein Bauvorhaben aufgrund von unvorhersehbaren, besonderen Wetterverhältnissen nicht rechtzeitig fertiggestellt werden konnte, da der Auftragnehmer sich gezwungen sah den Bau zeitweilig zu unterbrechen. Der Auftraggeber begehrte nun eine Haftung des Auftragnehmers unter Geltendmachung der Ansicht, dass dieser seine Mitwirkungspflicht zur Abwehr der besonderen Wetterverhältnisse verletzt habe. Der BGH verneinte diese Rechtsauffassung und stellte klar, dass die Voraussetzungen des § 642 BGB nicht gegeben seien und keine Mitwirkungspflichten aufgrund von höherer Gewalt entstehen. Es handelt sich somit um die Frage danach, ob höhere Gewalt zusätzliche Mitwirkungspflichten begründet. Etwaige Mitwirkungspflichten, die auch ohne besondere Umstände bestehen, sind in diesem Fall nicht Teil des Disputs. Anders verhält es sich im Erlass des BMI, welcher auf die ohnehin bestehenden Mitwirkungspflichten, etwa das Überlassen des zu bebauenden Grundstücks, Bezug nimmt.

Im Rahmen seiner Begründung setzt sich der BGH mit einer Senatsentscheidung vom 21.10.1999 auseinander, von welcher er sich aber für den vorliegenden Fall distanziert, da ihr „ein grundlegend anderer Sachverhalt zugrunde“ liege. In diesem Sachverhalt hat der Auftragnehmer ein erforderliches Vorwerk nicht rechtzeitig erbracht, so dass er das Baugrundstücks nicht rechtzeitig für die Fertigstellung eines nachfolgenden Gewerks zur Verfügung stellen konnte. Der BGH stellt in diesem Zusammenhang klar, dass dieser Fall anders sei als der aktuell zu entscheidende, da die rechtzeitige Herstellung des Vorwerkes eine Mitwirkungshandlung des Auftragnehmers sei und kein Fall höherer Gewalt. Es verdichtet sich somit der Zweifel an der Kongruenz des vom BMI gemeinten Sachverhalts und dem, der dem BGH bei seiner Entscheidung zugrunde lag (Rn.21).

Ähnlich verfährt der BGH mit einem Sachverhalt, in dem die Bauausführung aufgrund von Hochwasser unterbrochen werden musste. Die Revision führte den Fall mit der Begründung heran, dass das Hochwasser als Fall höherer Gewalt zu qualifizieren sei und deshalb die Mitwirkungshandlung in Form einer Zurverfügungstellung nicht möglich war. Auch hier macht der BGH deutlich, dass in dem vorliegenden Fall unzureichende Hochwasserschutzmaßnahmen relevant waren. Mit der Annahme des Senats, dass ein Fall höherer Gewalt solch eine Mitwirkungspflicht suspendiert, setzt der BGH sich gar nicht erst auseinander, weil er sie für den Streitfall nicht entscheidungserheblich hielt (Rn.22).

Es bleibt somit festzuhalten, dass ein bloßes Zitieren des Urteils in ähnlich gelagerten Fällen und Lebenssachverhalten nicht prima facie korrekt ist. Mitwirkungshandlungen, sowie die rechtlichen Folgen von höherer Gewalt haben viele Facetten und müssen en Detail berücksichtigt und beurteilt werden, juristische Fragen sind klar voneinander abzugrenzen und separat zu beantworten.