Vergaberechtliche Bewertung von Verträgen vor Errichtung der Immobilie

In seinem Urteil vom 22. April 2021 (EuGH, Urt. v. 22.04.2021, C-537/19) hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) ausführlich zu der Thematik um die Einstufung eines Vertrages vor Errichtung eines Gebäudes Stellung genommen. Hierbei ging es um die Abgrenzung von ausschreibungspflichten Bauaufträgen und vergabefreien Mietverträgen. Die Klage der Europäischen Kommission richtete sich gegen die Direktvergabe eines Mietvertrages auf unbestimmte Zeit über ein Bürogebäude durch die größte kommunale Hausverwaltung Europas „Wiener Wohnen“ als öffentliche Auftraggeberin mit einem privaten Unternehmen ohne zuvor durchgeführtes Vergabeverfahren oder entsprechende Bekanntmachung. Hiermit sei gegen die Verpflichtungen aus Art. 2, 28 und 35 Abs. 2 der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 verstoßen worden.

Gegenständlich war insbesondere die Frage, inwieweit der künftige Mieter überhaupt Einfluss auf die Gestaltung der zu errichtenden Immobilie nehmen darf, ohne dass von einem Bauauftrag auszugehen ist. Nach Auffassung der Kommission wäre es ohne den Vertragsschluss mit „Wiener Wohnen“ schon nicht zur Errichtung der Immobilie gekommen. Im Übrigen habe „Wiener Wohnen“ auf die Errichtung und konkrete Gestaltung des Gebäudes über das übliche Maß hinaus Einfluss nehmen können.

Nun hat der EuGH die Klage der Kommission abgewiesen und damit Rechtssicherheit geschaffen, wann der Einfluss des Mieters auf die Planung der Bauleistung als „erheblicher“ Einfluss zu werten ist und der Vertragsschluss damit einer Ausschreibungspflicht unterliegt. In der Stellungnahme wird eingangs darauf hingewiesen, dass zur rechtlichen Einordnung von Verträgen, die zugleich Elemente eines öffentlichen Bauvertrages und eines Auftrages anderer Art aufweisen, auf den Hauptgegenstand abzustellen ist. Insoweit sei die Qualifizierung seitens der Parteien als „Mietvertrag“ nicht maßgeblich. Der EuGH entschied, dass vom Vorliegen eines Bauauftrages ausgegangen werden kann, wenn ein öffentlicher Auftraggeber ein noch nicht vorhandenes Gebäude mitgestaltet, indem er zumindest entscheidenden Einfluss auf die Planung der Bauleistung, insbesondere die architektonische Grundstruktur (bspw. Größe, Außenwände, etc.) nehmen kann. Ein grundlegender Einfluss bezüglich der Gebäudeeinteilung habe der Mieter nur, wenn sich seine Anforderungen aufgrund der Eigenart und des Umfangs von dem abheben, was Mieter üblicherweise verlangen können. Es genügt daher nicht, wenn eine zuvor eingeräumte bauliche Möglichkeit bzw. Abweichung in Anspruch genommen und angewiesen wird.

So lag der Fall hier. Die in Rede stehende Immobilie sei als klassisches Bürogebäude konzipiert worden, ohne hierbei auf spezielle Mieterkategorien abzustellen. Die wesentlichen Grundzüge der geplanten Immobilie waren bereits vor der Verhandlung über den Mietvertrag festgelegt und die Mieter hätten hingegen zulässig Anforderungen unter anderem an die Verbesserung der Energieeffizienz und der Verringerung des ökologischen Fußabdrucks gestellt. Dies führe nicht zu einer Umdeutung eines Mietvertrages in einen Bauauftrag. Dass den Wünschen der Mieter hinsichtlich der Anpassung des Bauwerks entsprochen werde, sei vielmehr gängige Praxis.