Follow-up: Der §313 BGB im Lichte der Pandemie

Dass die aktuelle Lage zu dynamischen Veränderungen und Anpassungen im Rahmen der Gesetzgebung führt, dürfte nicht nur Juristinnen und Juristen bekannt sein. So berichteten wir erst Ende Dezember über die Einführung des Art.240 §7 EGBGB zum Thema Störung der Geschäftsgrundlage im Rahmen von Gewerberaummietverträgen (s. unser Beitrag vom 17.12.2020 Neue Regelung für Gewerbemietrecht (§ 313 BGB) – Carneades Legal), welcher entgegen der bis dato ergangenen zwar uneinheitlichen, aber in ihrer Tendenz doch eher gegen die die Anwendung des §313 BGB sprechenden Rechtsprechung (s. hierzu unser Beitrag vom 17.11.2020 – Das Corona Virus und sein Rattenschwanz – Carneades Legal) am 1. Januar in Kraft getreten ist.

Neben einer Vermutung über das Vorliegen schwerwiegender Veränderungen wesentlicher vertraglicher Umstände (das reale Element des §313 BGB) durch die staatlich untersagte Verwendung gemieteter Geschäftsräume, wurde der der Beschleunigung und vorrangigen Behandlung der Sachverhalte dienende §44 EGZPO eingeführt. Wie dem Bericht des Bundestages zu entnehmen ist (s. BT Drucksache 19/25322, 15), gilt dieses Vorrangs- und Beschleunigungsgebot nicht nur dann, wenn der Mieter mit einer Klage eine Vertragsanpassung nach §313 BGB begehrt, sondern auch dann, wenn §313 BGB als Einrede beispielsweise gegen den Zahlungsanspruch des Vermieters geltend gemacht wird. Zusätzlich sieht §44 Absatz 2 EGZPO vor, dass für Streitigkeiten, die den §313 BGB betreffen, ein früher erster Termin spätestens nach einem Monat nach Klageschrift Zustellung erfolgen soll.

Wie in unserem ersten Artikel bereits angeführt, bleiben Kernelemente des §313 BGB von der neuen Regelung jedoch unberührt. Darunter das hypothetische Element, sprich die Frage danach, ob die Parteien den Vertrag bei Kenntnis der eigentlichen Sachlage trotzdem so geschlossen hätten sowie das normative Element, m.a.W. die Zumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag.

Wie steht es um diese nicht unwesentlichen Kernelemente in Anbetracht der aktuellen Lage? Dass die Rechtslage nicht eindeutig ist, bezeugt bereits die Rechtsprechung unmittelbar vor Erlass des Art.240 §7 EGBGB.

Hinsichtlich des hypothetischen Elements dürfte auch ohne gesetzgeberische Klarstellung nicht zu leugnen sein, dass ein Mieter den Vertrag nicht in dieser Form abgeschlossen hätte. Schließlich rechtfertigen sich hohe Mieten für Gewerbemieten gerade durch die gewerblichen Einnahmen, welche wiederum eine Nutzbarkeit der Räume voraussetzen.

Dahingegen ist das normative Element, also die Risikoverteilung in einem Ausnahmefall wie einer Pandemie nicht ganz so einfach zu beurteilen. In Anbetracht der Ausgestaltung des Mietrechts und der bisherigen Rechtsprechung des BGH, welcher zufolge öffentlich-rechtliche Gebrauchshindernisse oder -beschränkungen nur dann einen Mangel der Mietsache darstellen, wenn sie unmittelbar auf der konkreten Beschaffenheit der Mietsache beruhen, könnte man erstmal zu dem Schluss kommen, das Risiko liege bei dem Mieter. Dafür spricht auch der Anfang des Jahres 2020 eingeführte Art.240 §2 EGBGB, welcher zwar einen Kündigungsausschluss vorsieht, aber zum Thema Mietminderung schweigt. Diese vermeintlich klare Sachlage muss ihrerseits im Angesicht der besonderen Umstände und der neuen Regelung betrachtet werden. Diese Betrachtung setzt einen Blick auf die Vermutung des realen Elements voraus, welche leerlaufen würde, wenn die Risikosphäre vollumfänglich dem Mieter zugeschrieben werden würde.

Auf der anderen Seite der Medaille stellt sich außerdem die Frage, wie sich Mieter ggf. ausgezahlte staatliche Corona Hilfen anrechnen lassen müssen. Gleiches gilt für eventuell abgeschlossene Betriebsunterbrechungsversicherungen. Klar ist jedenfalls die Antwort auf die Frage des „ob“ einer Rückzahlung bzw. Anrechnung – eine doppelte Bereicherung sieht das deutsche Rechtssystem nicht vor und wird es wohl auch nicht in diesen Fällen.

Gelangt man im konkreten Fall zu einer Anwendbarkeit des §313 BGB, bleibt weiterhin die Frage nach der konkreten Rechtsfolge offen (s. hierzu ebenfalls unser Beitrag vom 17.12.2020). Die bisherige Rechtsprechung zum §313 BGB sieht eine Kündigung als Ausnahmefall vor. Anlehnend an den Grundsatz pacta sunt servanda soll erstmals eine Vertragsanpassung vorgenommen werden und die Verteilung des Verwendungsrisikos nach den Einzelheiten des jeweiligen Falles erfolgen. In einem speziell gelagerten Fall wie einer Pandemie, die von beiden Parteien weder vorherseh- noch kontrollierbar ist, dürfte man unter Gerechtigkeitserwägungen wohl von einer 50/50 Teilung ausgehen.

Ob die Gerichte diese Einschätzungen teilen und wie sie mit der neuen Regelung, aber insbesondere mit nach wie vor bestehenden Fragen umgehen werden, bleibt spannend. Auch bleibt abzuwarten, ob sie die nötigen Kapazitäten haben der Frist des §44 Absatz 2 EGZPO nachzukommen. Wir halten Sie auf dem Laufenden.