Losverfahren vs. Gesamtvergabe

Möchte ein Auftraggeber einen öffentlichen Auftrag nicht – wie im Regelfall – im Rahmen der Losvergabe ausschreiben, muss er zuvor die widerstreitenden Belange umfassend abwägen. Sofern die technischen und wirtschaftlichen Hintergründe der Ausschreibung sowie ein hohes Risikoprofil des Objekts insgesamt für eine Gesamtvergabe sprechen, kann eine solche vom Auftraggeber gewählt werden. Dies entschied kürzlich das Oberlandesgericht München mit Beschluss vom 25.03.2019.

Vorliegend ging es um die Ausschreibung im Rahmen eines europaweiten offenen Verfahrens von Elektro- und Nachrichtentechnik zur Verbesserung der Sicherheit in einer Justizvollzugsanstalt (JVA). Der Auftrag umfasste dabei unter anderem die Erneuerung der Beleuchtung des Sicherheitsstreifens und der Videoüberwachungsanlagen, die technische Ausstattung des Sicherheitszauns sowie die Umrüstung der Türen mit Motorschlössern und Transpondern. Der Auftraggeber hatte die Aufteilung in Lose nicht vorgesehen.

Bereits im Vergabeverfahren wurde von der späteren Antragstellerin gerügt, dass die Ausschreibung gegen das Gebot der Losvergabe gem. § 97 Abs. 4 S. 2 GWB verstoße. Da die Rüge erfolglos blieb, leitete die Antragstellerin ein Nachprüfungsverfahren ein. Der Auftraggeber begründete die Gesamtvergabe gem. § 97 Abs. 4 S. 3 GWB damit, dass wirtschaftliche und technische Gründe diese notwendig machten, da ansonsten die wegen der besonderen Sicherheitssituation einer JVA notwendige Ausfallsicherheit von 99,9 % nicht gewährleistet werden könnte. Die Vergabekammer Südbayern hob das Vergabeverfahren zunächst auf. Begründet wurde diese Entscheidung damit, dass der Auftraggeber nicht ausreichend dargelegt hätte, dass bezüglich aller in Betracht kommenden Teilleistungen tatsächlich wirtschaftliche oder technische Gründe gegen die Einteilung in Lose sprechen würden.

Gegen diese Entscheidung richtete sich die sofortige Beschwerde – mit Erfolg.

Das Oberlandesgericht entschied, dass die beabsichtigte Gesamtvergabe nicht gegen § 97 Abs. 4 S. 2 GWB verstoße. Der öffentliche Auftraggeber habe einen Beurteilungsspielraum bezüglich der Frage, ob technische oder wirtschaftliche Gründe eine Gesamtvergabe erforderlich machten. Da hierzu komplexe Beurteilungen notwendig sein können, sei dem Auftraggeber auch ein entsprechender Entscheidungsspielraum einzuräumen. Solche Spielräume seien auch für die Einschätzung konkreter projektbezogener Risikopotenziale zu nutzen.

Generell ist anerkannt, dass weder ein erhöhter Koordinierungsaufwand noch die Vermeidung von mehreren Gewährleistungsschuldnern eine Gesamtvergabe rechtfertigen. Konkrete projekt- oder auftragsbezogene Gründe seien jedoch denkbar.

Zumindest im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens habe der Auftraggeber vorliegend konkret und projektbezogen dargelegt, dass für die Einzelarbeiten an der Sicherheitsanlage keine Fachlose gebildet werden konnten, ohne die Funktionsweise der Gesamtleistung zu gefährden. Dabei sei die Systemsicherheit der Überwachungsanlage ein nachvollziehbarer technischer Grund, der eine Gesamtvergabe rechtfertige. Zu dieser Erkenntnis erlangte das Gericht, nachdem von einem hinzugezogenen Sachverständigen die Risikopotentiale aufgezeigt wurden.